Herr v. Rehtanz´ Arbeiten entstehen im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik. Ihre 2014 absolvierte theaterpädagogische Ausbildung baute sie im Studium der Bildenden Kunst an der Kunsthochschule Kassel (DE), Akademie der Bildenden Künste Krakau (PL) und am College of Fine Arts Sulaimani (IQ) aus. Nach ihrem Abschluss war sie bis Oktober 2022 Meisterschüler*in bei Professorin Mounira Al Solh. Derzeit studiert sie Philosophie im Masterstudiengang ›Umwelt – Gesellschaft – Kritik‹ and der Universität Kassel und vertieft ihre künstlerische Forschung an der Graduiertenschule für Bewegtbild.

Kennzeichnend für ihre Arbeitsweise sind spartenübergreifende Langzeitprojekte mit einem besonderen Fokus auf Performance Kunst, Film und Installation. Ihr theoretisches Interesse gilt der Phänomenologie, Ästhetik, Kritischen Theorie und den feministischen Theorien. Fragen zur Erinnerungskultur und Migration sind ein wesentlicher Bestandteil ihrer Forschung.


herr-von-rehtanz.net

Forschungsprojekt: Deutschland - Eine postmigrantische Perspektive


2024
Videoinstallation, 15 Min. (Loop)
Projektion, Druck auf Transparentpapier
Buch/Animation: Herr v. Rehtanz
Übersetzung: Dumitru Malai und Hannah Lansburgh







Ausstellungsansicht GBB_edits #3: Desire Across the Disciplines,  Ausstellungshalle Kunsthochschule Kassel 2024. Fotos: Lucas Melzer

Ein Aufwachsen, während im Hintergrund die Anderen von den Anderen erzählen – Hunderte Kilometer entfernt selbst anders werden – Ein Alltag um die Halitstraße in der Kasseler Nordstadt. Diese Bögen untersucht Herr v. Rehtanz in der Drei-Kanal-Videoinstallation „Deutschland - Eine post­migrantische Perspektive“.

Was Herr v. Rehtanz von einer autobiographischen Perspektive aus behandelt – die Frage nach dem ‚Danach‘ der Migration – wird auch sozialwissenschaftlich untersucht. Naika Foroutan fasst die postmigrantische Gesellschaft auch als eine konfliktgeladene Situation von Widersprüchlich­keit und Dissens.¹ In dieser Lage werden othering-Prozesse und Sterotypisierungen häufige Techniken zur Konstruktion nationaler Identitäten.² Teilhabe, die Verteilung von Macht und Veränderungsprozesse werden in der postmigrantischen Gesellschaft hauptsächlich von zwei Polen aus verhandelt: Pluralitätsbefürworter*innen vs. Pluralitätsgegner*innen, in den wichtigsten Konflikten geht es um die politisch zuge-sicherte Gleichstellung.³

Dass diese ‚Verhandlungen‘ teilweise gewaltvoll sind, wissen wir schon längst. Die jüngste Statistik rechtsex­tremer Verbrechen in Deutschland zeigt: 20.697 rechtsex­trem motivierte Straftaten im Jahr 2023, davon 1.016 Gewalt-taten.⁴ Das bedeutet, es wurden durchschnittlich täglich 2,7 rechtsextreme Gewalttaten begangen. Die Morde der rechts-extremen Terrorgruppe NSU sind auch als extreme Aus­drucksform postmigrantischer Konflikte zu sehen. Dass sie extrem sind, macht sie nicht zu einer Ausnahmeerscheinung.

Die NSU-Morde sind mit anderer rechtsextremer Gewalt verknüpft. Mit der alltäglichen Gewalt, über die öffentlich wenig gesprochen wird, und auch mit Gewalttaten, über die öffentlich gesprochen wird, wie der Mordanschlag in Hanau am 19.02.2020.

Die Animationsfilmtrilogie wird von autobiografischen Text-en begleitet, in denen Herr v. Rehtanz beschreibt, wie diese Gewalt auch their Biographie immer wieder streift. Die Filme erzählen von einer queeren Perspektive aus, was nach der Migration passiert. Was verbindet eine Kindheit, die von rassistischen Vorurteilen gegen Rom*nja und Sinti*zze geprägt ist, mit einer Alltagsroutine, die um den Ort des NSU-Mordes an Halit Yozgat kreist?

Die Texte zu den Animationsfilmen sind von einer nüchternen Schwere getragen. Sie verweben autobiographisches, gesellschafts­analytisches und poetisches Erzählen miteinander. Im Gegensatz dazu berichten die Filme mit einer gewissen Leichtigkeit, die Betracht-er*innen auch schmunzeln lassen kann. In diesem Spannungsfeld werden Alltagserfahrungen pointiert hervorgehoben, wodurch sich den Betrachter*innen emphatische Zugänge in die beschriebene subjektive Wahrnehmung und in ihre gesellschaftliche Einbettung eröffnet.


Text: Yasmin El Sayed, für die Publikation GBB_edits #3

1 Foroutan, Naika. 2019. Die postmigrantische Gesellschaft -ein Versprechen der pluralen Demokratie. Bielefeld: transcript Verlag. S.60

2 Foroutan, Naika. 2019. Die postmigrantische Gesellschaft -ein Versprechen der pluralen Demokratie. Bielefeld: transcript Verlag. S.133

3 Foroutan, Naika. 2019. Die postmigrantische Gesellschaft -ein Versprechen der pluralen Demokratie. Bielefeld: transcript Verlag. S.60-63

4..https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4032/umfrage/rechtsextremismus-und-fremden­feindlichkeit-in-deutschland/