Juliane Henrich setzt sich in ihrer filmischen Arbeit mit Raumfragen und der Transformation von Orten auseinander. In Text und Bild betrachtet sie dabei architektonische, begriffliche oder politische Überschreibungsprozesse. Sie studierte Film, Kunst und literarisches Schreiben in Leipzig, Berlin und Jerusalem.

Forschungsprojekt: inside or outside (shells)


Juliane Henrich: inside outside (shells). Videostill





Juliane Henrich: inside or outside (shells). Ausstellungsansicht von GBB_edits #1. Foto: Graduiertenschule für Bewegtbild









Juliane Henrich: inside or outside (shells). Videostills


Juliane Henrich: inside or outside (shells). Ausstellungsansicht von Latenzen, Kasseler Kunstverein. Foto: Holger Jenss




Zu sehen ist ein karges Feld im Abendlicht, durchschnitten von einem großen schwarzen Rohr. „Ich wollte nach dem Übergang von Innen- und Außenraum suchen“, setzt die Stimme der Erzählerin ein. „Was die Geräte damit zu tun haben könnten. Und war dann auf die Geodätischen Kuppeln gestoßen.” 

Das ist der Auftakt zu inside or outside (shells), einem Film, der dann in Form einer tagebuchartigen Assoziationskette zu den kugelförmigen Amazon Spheres in Seattle führt, zu bewohnten Kuppeln in der Wüste und schließlich zu den High-Tech-Bauten des Silicon Valley – den Konzernzentralen von Apple, Google und Facebook. Dabei handelt es sich um Architekturen, die mit Transparenzen arbeiten, eine Offenheit suggerieren – nur betretbar sind sie nicht, sondern für Außenstehende hermetisch abgeriegelt.

Juliane Henrichs Suche nach dem Verschwimmen von Innen- und Außenraum durch Vernetzung und Digitalisierung ist Teil eines größeren Projektes. Dieser erste Teil – shells – fokussiert sich auf die Geodätische Kuppel. Jene kugelige Bauform, die der Designer und Visionär Richard Buckminster Fuller in den 60er-Jahren populär machte und deren Bauanleitungen über den legendären Whole Earth Catalog (den Steve Jobs als einen analogen Vorläufer von Google bezeichnete) Eingang in die Kommunen der Westküste fanden. Wie die Form des Geodesic Domes, aber auch die Systemtheorie und die sozialreformerischen Gedanken Fullers in den heutigen High-Tech Firmen und ihren Bauten nachhallen, aber keine ernsthafte Entsprechung finden, ist einer der Stränge des Films.

Essayistisch knüpft sich Bild an Gedanke an Zitat – wir hören Buckminster Fuller davon sprechen, dass die Struktur der Geodätischen Kuppel der Außenhülle von Viren gleicht und die Erzählung beginnt zu reflektieren, wie der eigentlich geplante Film aufgrund der Pandemie nicht entstehen konnte. Aufnahmen der Konzernbauten und von in die Jahre gekommenen bewohnten Kuppeln aus Holz wechseln sich ab mit Found Footage – Bilder aus der Kommune Drop City, in der Hippies die Dome aus Schrott zusammensetzten, verbinden sich mit Lehrvideos zum physischen Vorgang einer Coronainfektion und der Reflexion darüber, wie Äußeres nach innen kommt – und man sich in der Folge der Erkrankung von allem Äußeren abschirmt, während im Digitalen umso mehr Vernetzung mit der Außenwelt stattfindet. Es folgen Kuppeln, in denen Meditierende Verbindung zum Universum aufnehmen, militärische Abhörstationen mit der gleichen Bauform und schließlich der unscheinbare kugelrunde Smartspeaker, der in der Zimmerecke steht und gleichzeitig Alltagshilfe und Abhöranlage sein kann.

In dem ruhig fließenden Text, der mal auf das Abgebildete eingeht, mal ganz andere Volten nimmt, reflektiert die Filmemacherin über ihre eigene Nutzung der digitalen Dienste, bis in die körperliche Wahrnehmung hinein –

„ES WAR EINE LEITUNG NACH DRAUSSEN, AUCH WENN KEINE NACHRICHTEN KAMEN, WEIL DIE ERWARTUNG IN DEN KÖRPER ÜBERGEGANGEN WAR… ES IST NOCH NICHT SO LANGE HER, DASS DIE MENSCHEN SICH DER ANWESENHEIT GOTTES IN IHREM HINTERKOPF GEWISS WAREN – JEMAND, DER ALLES SEHEN KANN, GEDANKEN SCHON LESEN, BEVOR SIE ZU GEDANKEN WERDEN. WAR ES DENN SO SCHLIMM, WENN NUN GOOGLE DIESE SICHT INS INNERSTE HATTE?

Und der sich aufspannende Dom des Neubaus der Konzernzentrale bekommt im Abendlicht etwas Sakrales, während sich der Ton des Films irgendwo zwischen Ironie und ernsthaftem Wundern einpendelt. Nachdem die Filmemacherin schließlich vom Google Campus verscheucht wird, fährt sie zur Facebook Zentrale, die aber noch hermetischer abgeriegelt ist. Sie streift um den Bau herum, über den Parkplatz und in die benachbarten Siedlungen, bis sie schließlich zu dem Feld zurückkehrt, das am Anfang des Films schon einmal zu sehen war. Diesmal erkennt man, dass eine Person aus diesem Feld heraus genau auf die Kamera zugelaufen kommt. Fast surreal erscheint der Mann in einem zu großen Anzug, und als er in der Mitte des Bildes ist, bricht er im Wattartigen Untergrund plötzlich ein. Eine Unterhaltung entspinnt sich zwischen der Frau hinter der Kamera und dem Mann davor. Er schlägt ihr einen Tauschhandel vor – sie soll ihn mitnehmen in seine Obdachlosenunterkunft, dafür will er ihr eine Geschichte erzählen. Und er beginnt zu sprechen, von dem Kuppel-Effekt, der sich über dem Feld zusammenzieht, von den darin fließenden Energien, dem schwarzen Rohr, das eine fast unüberbrückbare Grenze zwischen Innen- und Außenwelt darstellt. Die Erzählung ist faszinierend und rätselhaft, der Mann erscheint wie ein später Jünger Buckminster Fullers, den es an den Rand der Gesellschaft gedrängt hat. Die Off-Stimme der Filmemacherin gibt zu, sich nicht getraut zu haben ihn im Auto mitzunehmen. Sie ihm stattdessen Geld gab, obwohl sie wusste,

„DASS ER IN DIESEM NIEMANDSLAND NICHTS DAMIT ANFANGEN KONNTE. WEIL ES KEINE TAXIS GAB, SONDERN NUR FAHRDIENSTE, DIE IN KLEINEN ANIMATIONEN ÜBER DIE SMARTPHONE-DISPLAYS SCHWIRRTEN UND DEREN GENAU BEMESSENE FAHRTEN IN WEIT ENTFERNTEN SERVERRÄUMEN MIT DEN WERTEN VON KREDITKARTEN VERRECHNET WURDEN.“

So geht es in der Realität der digitalen Vernetzung für Personen ohne die nötigen Ressourcen neben der verschobenen Wahrnehmung von innen und außen vor allem um die Frage, wer drinnen ist und wer draußen bleibt. 

Text: Maya Lückenrath, für die Publikation zur gleichnamigen Ausstellung GBB_edits #1


Buch/Kamera/Schnitt: Juliane Henrich
Sound Design: Jochen Jezussek
Color Grading: Till Beckmann
Übersetzung: Lyz Pfister