Zeno Gries wurde 1993 in Berlin geboren. 2013 begann er sein Studium für Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Von 2015 bis 2020 studierte er bei Clemens von Wedemeyer in der Klasse für Expanded Cinema. In dieser Zeit gründete er mit anderen Künstler*innen das Phyllis Johnson, ein Atelier und Ausstellungsraum für experimentelle kollektive Arbeiten, in der Halle 14 in Leipzig. Seine künstlerische Praxis begann mit einer Befragung des eigenen Körpers und entwickelte ich weiter zu einer Beschäftigung mit den Themenkomplexen Repräsentation und Identität. Zur Zeit beschäftigt er sich mit der Frage, wie Repräsentation und Repräsentiertes zu einander stehen, zum Beispiel im Kontext von sozialen Netzwerken und dem Internet. Dabei arbeitet er mit einer breiten, wechselnden Auswahl an neuen Medien.


Forschungsprojekt: ghosts of data past




Zeno Gries: ghosts of data past. Dokumentation der Chat-App. Foto: Zeno Gries



Zeno Gries: ghosts of data past. Selfie aus der Chat-App





„Was bist du?“, fragt die verunsicherte Stimme des Protagonisten in Zeno Gries‘ Film es gibt kein abschalten. Flüsternd erwidert eine geisterhafte Stimme: „Was siehst du?“

In dem Film von 2021, der auf einem Traum aus seiner Kindheit basiert, erzählt der Künstler davon, wie sich sein Computer selbständig einschaltet und verschiedene Aktionen ausführt, sozusagen für sich allein arbeitet. Auf Befehle durch Tastatur oder Maus reagiert der Rechner nicht, ein Ausschalten ist unmöglich. Die Arbeit ist Teil einer langfristigen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Unheimlichen oder Geisterhaften in modernen Technologien; der obige Wortwechsel kann als Hinweis auf die vorliegende Arbeit gelesen werden: In ghosts of data past widmet sich Gries den kulturellen Projektionen auf Künstliche Intelligenz und ihrer Anthromorphisierung durch den Menschen. Welche Faszination, welche Ängste verbinden wir mit ihr?

Längst ist es in einschlägigen Abendnachrichten angekommen, dass Künstliche Intelligenz weder neutral noch vorurteilsfrei sein kann, wird sie doch von Menschen und mit deren Daten trainiert. Doch auch in einer Zeit, in der ein Großteil der Menschen in ihrem Alltag mit KI zu tun hat – bewusst oder unbewusst – scheinen die Erzählungen über sie innerhalb der Gesellschaft häufig noch denen aus Science-Fiction-Romanen oder -Filmen zu ähneln. Meist liegt diesen Erzählungen die Frage nach Handlungsfähigkeit zugrunde: Eine Künstliche Intelligenz wird sich ihrer selbst bewusst, entwickelt mitunter arglistige Züge und wird zu einer Bedrohung.

Für Zeno Gries ist die KI-Forschung selbst somit nicht nur eine technologische, sondern auch eine erzählerische Praxis. Das liegt auch an dem Vokabular, das genutzt wird, wenn derartige Technologien eingeführt werden: Fähigkeiten wie lernen, logisch denken oder schlussfolgern wurde bisher allein Menschen zugerechnet. Jedoch verschwimmen diese Begrifflichkeiten zwischen Menschen und Maschinen zunehmend, was zu einer Mystifizierung um die KI beiträgt. ghosts of data past baut auf dieser Mystifizierung auf, indem es selbst eine Erzählung um die Geister von Gesprächen  zwischen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen
schafft, die mit Hilfe einer KI heraufbeschworen werden.

Der britische Kulturwissenschaftler und Autor Mark Fisher beschreibt das Gefühl des Unheimlichen (eng. eerieness) folgendermaßen:

“THE SENSATION OF THE EERIE OCCUR EITHER WHEN THERE IS SOMETHING PRESENT WHEN THERE SHOULD BE NOTHING, OR THERE IS NOTHING PRESENT WHEN THERE SHOULD BE SOMETHING”.¹

Im Ausstellungsraum manifestiert sich das Unheimliche zunächst durch eine Installation: Ein geschmolzener Server, der seine eigentliche Funktion scheinbar verloren hat, ist das einzig sichtbare Objekt. Tatsächlich beherbergt dieser aber die Hardware für einen Machine-Learning-Algorithmus. Über einen Link gelangen Besucher:innen zu einer Chat-App, in der sie eine scheinbar geisterhafte, nie enden wollende Konversation zwischen Künstler:in und Wissenschaftler:in verfolgen können.

Die Grundlage der Arbeit bilden Datensätze aus Textnachrichten und Portraitaufnahmen. Im Vorfeld führte Gries hierzu eine E-Mail-Korrespondenz mit dem angewandten Ethiker Hendrik Kempt zum Umgang mit KI, digitaler Überwachung und Kontrolle, Geistern und den Denkweisen von Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und Programmierer:innen. Ein zweiter Textdatensatz wurde durch zwei Performer:innen erarbeitet, die angewiesen wurden, ihrerseits in die Rolle von Wissenschaftler:in undKünstler:in zu treten, um ein Gespräch zu führen. Um das Bildmaterial zu sammeln, wurden alle Teilnehmer:innen gefilmt.

Mit diesen beiden Datensätzen wurden KIs trainiert, welche in die für dieses Projekt entwickelte ChatApp integriert wurden und dort live generierte Textnachrichten und Selfies einspeisen. Die Konversation verfolgen Besucher:innen auf ihren eigenen Smartphones und gewähren den geisterhaften Gesprächspartner:innen damit auch ein Stück weit Zugang zu ihrem persönlichen Raum. Von der Chat-App wird zu Textenverlinkt, in denen Zeno Gries detailliert auf seine Überlegungen und Erkenntnisse seiner Forschung eingeht. Diese betrachtet er als Teil der Arbeit. Und auch hier schleicht sich das Geisterhafte ein:

EINZELNE ABSÄTZE VERSCHIEBEN SICH PLÖTZLICH, BUCHSTABEN KIPPEN INS KURSIVE UND STELLEN SICH WIEDER AUF.

Zeno Gries stellt die Überlegung an, dass Machine-Learning-Algorithmen dazu verdammt sind, vergangene Ereignisse, Stimmen und Gesichter heraufzubeschwören, so als würden diese in eine Art geisterhaften Zustand versetzt werden. Im Hinblick auf die digitalen Spuren, die wir tagtäglich hinterlassen, ist das in der Tat eine unheimliche Vorstellung, denn

„DAS GERÄT LÄSST SICH AUSSCHALTEN, ABER DAS NETZWERK SCHLÄFT NIE“

Die Angst vor Kontrollverlust wiegt schwer. Als Künstler ist gerade dieser Kontrollverlust für Zeno Gries ein spannendes Forschungsfeld. Anhand von ghosts of data past wird deutlich: Für eine umfassende Forschun zu KI sind künstlerische Perspektiven unabdingbar.

Text: Holger Jenss, für die Publikation zur gleichnamigen Ausstellung GBB_edits #1

¹ Mark Fisher: The Weird and the Eerie, London 2017, S.61.